Klar, wenn der Advent beginnt, ist das zunächst ein Datum wie viele andere auch, die im Kalender stehen. Dass er aber Wirklichkeit wird, hat für mich viel mit Stimmungen zu tun, die mit dem Spiel von Kerzenlicht und Dunkelheit einhergehen, mit Gerüchen, mit Vorbereitungen, die auf Weihnachten hin anfallen und v. a. mit Musikstücken und Liedern, die wieder gespielt und gesungen werden.
Ein ganz wichtiges Stück bzw. ein Adventsankündiger ist für mich die Bachkantate „Wachet auf, ruft uns die Stimme“ (BWV 140).
Wenn ich mal wieder pendelnd im Zug unterwegs bin, mir dann die Musik einstöpsle, steht nicht mehr das Gehetze, ob der Zug auch pünktlich ist und ich den Anschluss erwische, im Vordergrund, sondern die mich immer tiefer in einen inneren Raum hineinziehende Bewegung der Musik. Bach hat den Choral Philipp Nicolais zum Anfang, zur Mitte und zum Ende seiner Kantate gemacht. Dazwischen gibt es jeweils ein Rezitativ und ein Duett, so dass der wiederholende Dreischritt wie eine ausfließende Welle so etwas wie Frieden, Ankommen und Aufmerksam werden in mir auslöst.
Freilich dauert das etwas, bis sich das Chaos der Gedanken setzt und das Durcheinander der vielen gleichzeitig zu erledigen Aufgaben abebbt, aber Bach gibt auch fast zehn Minuten Zeit, bis das Spiel beginnt zwischen der Seele und dem, auf den sie so sehr wartet. Gerade so als ob da einer wüsste, dass die wichtigen Dinge nicht sofort gesagt werden können, sondern innen drinnen Raum brauchen, um gehört zu werden.
Und dann bin ich auch so weit, dass ich anfange den Text wahrzunehmen: „Wann kommst Du, mein Heil?“, fragt die Seele. Und der Erwartete antwortet: „Ich komme, Dein Teil“. Und so geht das oft und immer wieder hin und her. Wann kommst Du – ich komme. Komm doch, ich komme doch. So wie die Seele musikalisch mit ihrer drängenden Frage ansetzt, so antwortet das Du, indem es den musikalischen Bogen aufnimmt, beantwortet und je länger immer häufiger gleichzeitig, in mehrstimmiger Harmonie mit der Seele Ausschau hält und zugleich das Ankommen Wirklichkeit werden lässt.
Kein Wunder, dass dann beim zweiten Duett die Ahnung wie Schuppen von den Augen fällt, dass der Erwartete jetzt ganz und gar da ist, dass es kein Warten mehr braucht und die Sehnsucht ihr Du gefunden hat. Zunächst ist es die Oboe, die alles schon andeutet und eilig vorsingt. Dann setzt die Seele ein und bricht aus sich fast überrascht aus: „Mein Freund ist mein!“, worauf das erwartete Du antwortet „Und ich bin Dein.“ Und dann gibt es nur noch das miteinander Gesungene „Die Liebe soll nichts scheiden.“ Und beide kommen gar nicht nach, immer wieder anzusetzen und zu wiederholen, dass sie das Du gefunden haben, auf das sie die ganze Zeit gewartet haben.
Nicht nur, dass dieses Duett der Grund ist, warum einer meiner Herzenswünsche nach wie vor ist, Oboe zu lernen; die Musik schafft in mir einen Raum, in dem auch meine ganze Sehnsucht nach Frieden, nach einem Du, das mich hält und trägt und einem Gott, der da ist, wach wird. Ich bin froh, dass ich dies alles in die Sopranstimme hineinlegen kann und mit ihr genauso hören darf, dass Gott schon lange und unangefragt mein ist. Jetzt, morgen, dann und immer. Das lässt mich aufatmen und ruhig werden und anfangen, in meinem inneren Raum nach dem Ausschau zu halten, der ankommen will, immer wieder neu und auch jetzt und auch in mir.
Wir wünschen Ihnen und Euch eine Adventszeit, die einen solchen Raum im Innersten eröffnet.
Ihre und Eure Franziskanerinnen sf