In diesem Jahr möchte ich in der Adventszeit eine Geschichte erzählen. Es war ein gewöhnlicher Sonntagabend, an dem eher nebenbei der Fernseher lief. Doch dann zog mich der zufällig ausgewählte Film in seinen Bann. „Merry Christmas“ hieß er und ich vermutete nicht unbedingt, dass er mich auch tiefer berühren würde. Aber es kam anders.
Der Film erzählte von der ersten Weihnacht im ersten Kriegswinter des 1. Weltkriegs. In einem unbedeutenden Dorf irgendwo in Frankreich liegen sich deutsche, schottische und französische Truppenverbände schon viele Wochen in eisiger Kälte gegenüber. Viele sterben, der umkämpfte Bauernhof, der überall sein könnte und die Frontlinie markiert, ist inzwischen zerstört. Man weiß nicht mehr, warum er so wichtig war und warum alle dieses Stückchen Land besetzen wollen. Es geht nichts voran – nur das Sterben und die Einsamkeit. Jeder Soldat hat seine Geschichte.
Auf der schottischen Seite wird der Junge aus dem Dorf des Regiment-Priesters näher beleuchtet. Nach Hause schreibt er hoffnungsvolle Briefe, auch über seinen Bruder, der schon lange erschossen und erfroren im Niemandsland liegt. Er will doch, dass die Eltern einen guten Eindruck von ihm und dem Krieg hier haben. Auf der französischen Seite ist es der Diener des Lieutenant Audebert. Jeden Tag um 10.00 Uhr schlägt seine Uhr, damit er sich an das Teetrinken mit seiner Mutter erinnert. Und auf der deutschen Seite ist es der Tenor aus dem Berliner Opernhaus, der vom Getöse der Front zerrissen wird und trotzdem bei seinen Kameraden bleibt. Um die Soldaten an Weihnachten bei Laune zu halten, schicken die Generäle auf der deutschen Seite Christbäume – alle fünf Meter einen. Ein Lichtgetümmel über eine weite Strecke. Und dann beginnt das Unglaubliche. Der Tenor steckt nicht nur einen Christbaum auf den Rand des Schützengrabens, sondern beginnt zu singen: Stille Nacht, heilige Nacht. Er steigt über die schützende Linie ins tödliche Niemandsland.
Die schottischen und französischen Soldaten bemerken dieses sonderbare Geschehen. Was passiert da? Eine Finte? Ein Hinterhalt? Aber der Tenor lässt sich nicht beirren und singt immer weiter. Auch die anderen fangen an, die Schützengräben zu verlassen – von jeder Seite her, mit Dudelsack die Schotten, die Franzosen mit Champagner unter dem Arm.
Es folgen einige wenige Tage, in denen sich der Krieg nicht hier abspielt. Die Soldaten begegnen sich, sitzen gemeinsam am Feuer, tauschen Fotos über ihre Familien aus, feiern gemeinsam am Heiligen Abend Gottesdienst und begraben ihre Toten. Alle gemeinsam die Toten, egal, auf welcher Seite sie gefallen sind.
Unaufgeregt, aber sehr deutlich wird hier erzählt, wie absurd Krieg und das Töten sind. Auf jeder Seite stehen sich Menschen gegenüber – junge meist, sehr junge. Warum sollten sie einander ans Leben wollen? Wie sinnlos das gegenseitige Abschlachten ist, zeigt der Film, als der Waffenstillstand zu Ende geht und die Truppen wieder aufeinander schießen sollten. Keiner kann es. An dieser Front geht es nicht weiter.
Dass diese Geschichte wirklich so passiert ist und als Weihnachtsfrieden bekannt wurde, stimmt mich noch nachdenklicher. Die Truppen wurden von ihren Generälen an andere Frontlinien versetzt, weil sie nicht mehr aufeinander schießen konnten.
In Zeiten, in denen Krieg nicht mehr nur eine historische Erinnerung ist oder eine kurze Info über irgendwo geführte Kriege, lässt mich dieser Film mit seiner Erzählung über eine wahre Begebenheit nicht mehr los. Jede und jeder weiß, dass Kriege nichts lösen, aber viele und vieles vernichten. Ein Stück, das der Tenor mit seiner Lebensgefährtin in diesem Film singt und in Anna Magdalenas Notenbüchlein zu finden ist, tönt dieses Absurde an und lässt mich aber auch nicht allein mit ihm. Da wird ein Gott herbeigesungen, der mitgeht in alles Tiefe und Widersinnige hinein und auch vor dem Tod nicht halt macht. Ich bin froh, das immer wieder zugesagt zu bekommen und ich hoffe, dass es stärkt, nicht nur mich, sondern uns alle, um wieder in den Frieden zu finden.
Ihre und Eure Franziskanerinnen sf